{Interview} Simon Geraedts, Autor von "Die Heilanstalt"

An dieser Stelle möchte ich euch den, meiner Meinung nach, sehr talentierten jungen Autor Simon Geraedts vorstellen.

Vor einigen Tagen habe ich sein Buch "Die Heilanstalt" gelesen und war restlos begeistert.
Meine Rezension finder ihr hier.

Wie ihr wahrscheinlich bemerken werdet, ist meine Rezension sehr kurz dafür, dass mir das Buch so gut gefallen hat. Ihr habt recht! Aber ich hätte einfach schon so viele spannende Dinge verraten, wenn ich mehr gesagt hätte. Somit möchte ich euch ans Herz legen: 

Lest dieses Buch! Es war fantastisch!

Und da ich so voller Vorfreude war und der Autor die Leserunde, an der ich teilgenommen habe, auch betreut hat, konnte ich es mir nicht verkneifen ihn um ein Interview zu bitten.


Und somit: Lasst die Spiele beginnen!


 
Stell dich doch einfach mal kurz vor. Und wem ähnelst du mehr? Melanie, die die Augen nicht vor der Wirklichkeit verschliesst oder eher Patrick, der die erstbeste Möglichkeit ergreift um sich vor der Wirklichkeit zu drücken und erst mit einem Paukenschlag wachgerüttelt werden kann?


Hallo Susann. Erst einmal vielen Dank für dein Interesse, ein Interview mit mir zu führen. Gern stelle ich mich kurz vor. Ich heiße Simon und bin 29 Jahre alt. Nach dem Abi habe ich von 2005 – 2010 Germanistik und Anglistik an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf studiert. 2011 habe ich im Lektorat verschiedener Verlage in Köln und Düsseldorf gearbeitet. 2012 war ich als Texter und Marketing Projekt Manager für ein E-Commerce Unternehmen in Dortmund tätig. Seit 2013 lebe ich als freiberuflicher Lektor, Korrektor, Texter und Autor in Nettetal.
Das kreative Schreiben war schon immer meine große Leidenschaft. Schon als Kind habe ich mir gern Geschichten ausgedacht und aufgeschrieben. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Vor ca. zwei Monaten habe ich meinen ersten Roman „Die Heilanstalt“ veröffentlicht, der bislang auf tolles Feedback gestoßen ist. Das ist eine wunderbare Bestätigung für die harte Arbeit und gibt mir Motivation, weitere Bücher zu schreiben.
Nun zu deiner eigentlichen Frage, die ich sehr interessant finde, aber auch schwierig zu beantworten. Ich würde sagen, dass ich in früheren Jahren ein Träumer gewesen bin und mich allmählich zum Realisten entwickelt habe. In meiner (frühen) Jugend war ich oft in Gedanken versunken und habe in meiner eigenen Welt gelebt. Für einen Kreativen ist das wohl nichts Ungewöhnliches, und von dieser Verträumtheit habe ich mir auch einiges bewahrt. Aber ich sehe die Welt heute mit wacheren Augen, schaue hinter die Kulissen und erkenne hinter den Taten der Menschen ihre Motive. Diese Sichtweise ist manchmal ernüchternd und lässt wenig Platz für kindliches Erstaunen. Aber ich bin ein Wahrheitsliebender, der von Märchenwelten nicht viel hält.
Da schreibt man neben dem Studium also ein Buch? Wo findet man die Zeit dafür???
In meinem Studium hat es mir nicht an Zeit gemangelt. Es gab lange Semesterferien und auch in der Vorlesungszeit genügend Freiräume. Anders als etwa im Jura- oder Medizinstudium muss man als Germanist nicht ständig über dicken Lehrbüchern sitzen, pauken und auswendig lernen. Es gibt mehr Freiheiten und selbstbestimmtes Lernen. In den Prüfungsphasen gab es natürlich viel zu tun, und ich musste eine Menge Referate halten und Hausarbeiten schreiben. Aber das alles fiel mir relativ leicht, sodass ich meistens noch ausreichend Zeit zum Schreiben zur Verfügung hatte.   

Du hast dein erstes Buch im Selfpublishing herausgebracht. Würdest du das auch anderen Jungautoren empfehlen oder war es doch zu anstrengend?


Als unbekannter Autor ist es sehr schwer, einen Verlag zu finden. Um das finanzielle Risiko zu minimieren, veröffentlichen Verlage in der Regel nur die Werke etablierter Autoren oder übersetzte Bestseller aus dem Ausland. Auch wenn Verlage sich gern als Instanzen kultureller Vielfalt und Förderer junger Autoren darstellen, sind es Wirtschaftsunternehmen, die auf Umsatz angewiesen sind. Da es schwierig ist, mit einem unbekannten Autor Geld zu verdienen, wird es beim langwierigen Bewerbungsmarathon in der Regel nur Standardabsagen hageln. Meistens werden unverlangt eingesandte Manuskripte gar nicht gelesen. Dazu fehlen in einem Verlag die Kapazitäten. In großen Häusern gehen täglich dreißig, vierzig oder noch mehr Skripte ein. Wer sollte die alle sichten und bewerten? Die bekannten Publikumsverlage haben namhafte Hausautoren, mit denen sie zusammenarbeiten, und ein strikt durchgeplantes Jahresprogramm. An unverlangten Manuskripten haben sie im Prinzip kein Interesse. Da es aber der PR schaden würde, dies offen zuzugeben, tun sie so, als würden sie unbekannte Autoren mit offenen Armen empfangen („Wir freuen uns sehr über jedes Manuskript, das uns erreicht, und bedanken uns für Ihr Vertrauen“). Das ist weder aufrichtig noch fair gegenüber jungen Erstautoren, deren Hoffnung mit desillusionierenden Standardabsagen zerschmettert wird. Der einzige Gewinner bei diesem Ein- und Rücksende-Wahnsinn der zahllosen Manuskripte ist die Deutsche Post.
Ich würde Jungautoren tatsächlich empfehlen, sich die aufwendige und in der Regel vergebliche Verlagssuche zu ersparen und ihre Texte erst einmal selbst zu veröffentlichen. Das ist inzwischen gar kein Problem mehr und bietet sogar viele Vorteile gegenüber einer Verlagsveröffentlichung. Erst einmal behält der Autor sämtliche Rechte an seinem Werk und bindet sich an keinen Vertrag. Das ist ein wichtiger Punkt. Eine befreundete Autorin bereut derzeit sehr, bei einem Verlag unterschrieben zu haben. Die Veröffentlichung wird immer wieder aufs Neue verschoben, das Cover wird nicht fertig, sie wird immer wieder mit Floskeln vertröstet oder erhält auf Rückfragen gar keine Antwort. Eine schlimme Situation, um die ich sie nicht beneide. Wenn man sein Buch selbst veröffentlicht, muss man sich mit solchen Ärgernissen nicht auseinandersetzen. Man muss zwar in ein professionelles Cover investieren und unter Umständen auch in ein Lektorat. Aber da man die Tantieme komplett selbst einstreicht, hat man diese Investitionen normalerweise schnell wieder raus. Zum Vergleich: Die befreundete Autorin hat sich vertraglich dazu verpflichtet, 80 % der Tantieme an den Verlag abzutreten!
Als Selfpublisher kann man sein Buch schnell, unkompliziert und kostenlos als E-Book und inzwischen sogar als Taschenbuch veröffentlichen, behält alle Einnahmen und kann sehr viel günstigere Verkaufspreise erzielen, als dies bei einem Verlag der Fall wäre. Mein Roman umfasst ca. 200 Seiten und kostet als Taschenbuch 7,99 EUR und als E-Book 2,99 EUR. Wäre er über einen Verlag erschienen, läge der Verkaufspreis beim Taschenbuch locker bei 14 oder 15 EUR und beim E-Book bei ca. 10 EUR. Wer ist schon bereit, so viel Geld für das Buch eines völlig unbekannten Autors auszugeben?
Oft heißt es, im Gegensatz zu einem Indie-Autor könne ein Verlag das Buch professionell bewerben. Das sehe ich skeptisch. Kleine Verlage haben kaum finanzielle Mittel, um großangelegte Werbeaktionen zu starten. Und selbst die großen Häuser bewerben nur die ohnehin schon bekannten Spitzentitel nachhaltig, während die Bücher eher unbekannter Autoren keine nennenswerte Unterstützung erhalten und schon bald in den Tiefen der Backlist verschwinden. Eine Veröffentlichung im Verlag bedeutet nicht, dass einem der rote Teppich ausgerollt wird und man über Nacht berühmt wird. Da haben viele Jungautoren viel zu hohe Erwartungen.
Ich habe mich auf die nervenaufreibende Verlagssuche gar nicht erst eingelassen und mein Buch gleich selbst herausgegeben. Diese Entscheidung halte ich für goldrichtig.

Wenn man einmal davon absieht wo der türkise Tee herkommt, wünschtest du manchmal selbst, dass ein Schluck Tee, zumindestens für eine Weile, deine Probleme beiseite wischen könnte? 
Der Tee steht für alle Dinge in der Welt, die geeignet sind, den menschlichen Verstand zu betäuben und seinen Blick auf die Wirklichkeit zu trüben. Grundsätzlich halte ich das für etwas Schädliches. Niemand sollte die Augen vor der Wahrheit verschließen und in einer Märchenwelt leben. Zugleich ist die Wahrheit oft etwas Trostloses und Betrübliches, das wohl niemand dauerhaft erträgt. Daher liegt es geradezu in der Natur des Menschen, behagliche Scheinwelten zu erfinden, in die er beizeiten flüchten kann. Religionen sind das beste Beispiel. Kaum etwas fürchtet der Mensch mehr als den Tod. Deshalb prophezeien alle Religionen eine Überwindung des Todes in Form der Wiederauferstehung wie im Christentum oder als Wiedergeburt wie im Buddhismus. Das ewige Leben, das Himmelreich, das Paradies, das Wiedersehen verstorbener geliebter Menschen … all das sind Illusionen, denen der Mensch sich hingibt, da er die Wahrheit nur schwer oder gar nicht erträgt. Es ist in Ordnung, ab und zu in Traumwelten hinabzusinken, solange man sich vor Augen hält, dass man träumt und immer wieder rechtzeitig aufwacht. Bedenklich wird es, wenn Menschen einer Illusion dauerhaft verfallen und sie das Märchen irgendwann für wahr halten. Richtig gefährlich wird es, wenn einzelne Menschen dies gezielt ausnutzen, um Macht über andere auszuüben. Dafür gibt es in der Weltgeschichte zahlreiche Beispiele. Genau das ist das Kernthema meines Romans. 
Dein Buch kann ja recht gesellschaftskritisch abgefasst werden. Ist das gewollt? Wenn ja, rechnest du mit einem ähnlichen Schicksal für die Menschheit oder ist es zum Teil schon eingetreten?
Ich schließe an meine Antwort der letzten Frage an: So wie der Tee aus meinem Roman können Märchen und Illusionen in kleinen Dosen heilsam wirken. Doch wenn der Konsum überhandnimmt, beeinträchtigt dies nachhaltig den Verstand, macht verletzlich und angreifbar. Allen Diktaturen der Vergangenheit und Gegenwart ist gemein, dass ein Einzelner auf Grundlage einer Lüge über viele herrscht. Das Irrwitzige ist, dass die Lüge vollkommen offensichtlich ist, und ihr dennoch Millionen Menschen verfallen. Dieses zeitlose Phänomen der Massenpsychologie hat mich sehr interessiert und zu meinem Roman „Die Heilanstalt“ inspiriert. Einer meiner Lieblingsdozenten an der Uni lehrte uns Skepsis als Grundhaltung. Auch wenn es manchmal unangenehm und schmerzhaft ist, müssen wir den Tatsachen ins Auge blicken, stets alle Vorgänge hinterfragen und die Wahrheit (an)erkennen. Wir dürfen uns nicht hinters Licht führen lassen. Menschen sind schon zu oft sehenden Auges ins Verderben gelaufen.
Wir müssen immer die Augen offenhalten und dürfen uns nichts vormachen lassen. Und wir müssen uns gegen Lügen und schädliche Entwicklungen, wie ganz aktuell eine Totalüberwachung des Internets, rechtzeitig zur Wehr setzen.
„Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird“ (Erich Kästner) 
Zu guter letzt. Was möchtest du deinen Lesern mit auf den Weg geben? 

Meinen Lesern möchte ich ganz herzlich für ihr Interesse an meinem Roman danken. Ich habe schon eine Menge tolles Feedback erhalten, worüber ich mich unheimlich freue. Ich bin sehr froh, dass es mir gelungen ist, eine Geschichte zu schreiben, an der so viele Leser Gefallen finden. 

Natürlich hoffe ich, dass mein Buch nicht nur als spannende Lektüre wahrgenommen wird, sondern dass die Leser auch die Botschaft vernehmen: Seid immer wachsam, verschließt euch nicht vor der Wahrheit und wehrt euch gegen Lüge, Verblendung und Unterdrückung. Jeder darf sich hin und wieder einen Schluck des türkisfarbenen Tees gönnen. Aber man darf dem schönen Schein nicht verfallen. 




Vielen Dank für dieses wunderbare Interview!
Ich wünsche dir sehr viel Spaß und Erfolg bei deinen nächsten Büchern.

Eine Leserin hast du schonmal :)


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