Vor einigen Tagen habe ich sein Buch "Die Heilanstalt" gelesen und war restlos begeistert.
Meine Rezension finder ihr hier.
Wie ihr wahrscheinlich bemerken werdet, ist meine Rezension sehr kurz dafür, dass mir das Buch so gut gefallen hat. Ihr habt recht! Aber ich hätte einfach schon so viele spannende Dinge verraten, wenn ich mehr gesagt hätte. Somit möchte ich euch ans Herz legen:
Lest dieses Buch! Es war fantastisch!
Und da ich so voller Vorfreude war und der Autor die Leserunde, an der ich teilgenommen habe, auch betreut hat, konnte ich es mir nicht verkneifen ihn um ein Interview zu bitten.
Hallo Susann. Erst einmal vielen Dank für dein Interesse, ein Interview mit
mir zu führen. Gern stelle ich mich kurz vor. Ich heiße Simon und bin 29 Jahre
alt. Nach dem Abi habe ich von 2005 – 2010 Germanistik und Anglistik an der
Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf studiert. 2011 habe ich im Lektorat
verschiedener Verlage in Köln und Düsseldorf gearbeitet. 2012 war ich als
Texter und Marketing Projekt Manager für ein E-Commerce Unternehmen in Dortmund
tätig. Seit 2013 lebe ich als freiberuflicher Lektor, Korrektor, Texter und
Autor in Nettetal.
Das kreative Schreiben war schon immer meine große Leidenschaft. Schon als
Kind habe ich mir gern Geschichten ausgedacht und aufgeschrieben. Daran hat
sich bis heute nichts geändert. Vor ca. zwei Monaten habe ich meinen ersten
Roman „Die Heilanstalt“ veröffentlicht, der bislang auf tolles Feedback
gestoßen ist. Das ist eine wunderbare Bestätigung für die harte Arbeit und gibt
mir Motivation, weitere Bücher zu schreiben.
Nun zu deiner eigentlichen Frage, die ich sehr interessant finde, aber auch
schwierig zu beantworten. Ich würde sagen, dass ich in früheren Jahren ein
Träumer gewesen bin und mich allmählich zum Realisten entwickelt habe. In
meiner (frühen) Jugend war ich oft in Gedanken versunken und habe in meiner
eigenen Welt gelebt. Für einen Kreativen ist das wohl nichts Ungewöhnliches,
und von dieser Verträumtheit habe ich mir auch einiges bewahrt. Aber ich sehe
die Welt heute mit wacheren Augen, schaue hinter die Kulissen und erkenne
hinter den Taten der Menschen ihre Motive. Diese Sichtweise ist manchmal
ernüchternd und lässt wenig Platz für kindliches Erstaunen. Aber ich bin ein
Wahrheitsliebender, der von Märchenwelten nicht viel hält.
Da schreibt man neben
dem Studium also ein Buch? Wo findet man die Zeit dafür???
In meinem Studium hat es mir nicht an Zeit gemangelt. Es gab lange
Semesterferien und auch in der Vorlesungszeit genügend Freiräume. Anders als
etwa im Jura- oder Medizinstudium muss man als Germanist nicht ständig über
dicken Lehrbüchern sitzen, pauken und auswendig lernen. Es gibt mehr Freiheiten
und selbstbestimmtes Lernen. In den Prüfungsphasen gab es natürlich viel zu
tun, und ich musste eine Menge Referate halten und Hausarbeiten schreiben. Aber
das alles fiel mir relativ leicht, sodass ich meistens noch ausreichend Zeit
zum Schreiben zur Verfügung hatte.
Als unbekannter Autor ist es sehr schwer, einen Verlag zu finden. Um das finanzielle
Risiko zu minimieren, veröffentlichen Verlage in der Regel nur die Werke
etablierter Autoren oder übersetzte Bestseller aus dem Ausland. Auch wenn Verlage
sich gern als Instanzen kultureller Vielfalt und Förderer junger Autoren
darstellen, sind es Wirtschaftsunternehmen, die auf Umsatz angewiesen sind. Da es
schwierig ist, mit einem unbekannten Autor Geld zu verdienen, wird es beim
langwierigen Bewerbungsmarathon in der Regel nur Standardabsagen hageln.
Meistens werden unverlangt eingesandte Manuskripte gar nicht gelesen. Dazu
fehlen in einem Verlag die Kapazitäten. In großen Häusern gehen täglich
dreißig, vierzig oder noch mehr Skripte ein. Wer sollte die alle sichten und bewerten?
Die bekannten Publikumsverlage haben namhafte Hausautoren, mit denen sie
zusammenarbeiten, und ein strikt durchgeplantes Jahresprogramm. An unverlangten
Manuskripten haben sie im Prinzip kein Interesse. Da es aber der PR schaden
würde, dies offen zuzugeben, tun sie so, als würden sie unbekannte Autoren mit
offenen Armen empfangen („Wir freuen uns sehr über jedes Manuskript, das uns
erreicht, und bedanken uns für Ihr Vertrauen“). Das ist weder aufrichtig noch
fair gegenüber jungen Erstautoren, deren Hoffnung mit desillusionierenden
Standardabsagen zerschmettert wird. Der einzige Gewinner bei diesem Ein- und
Rücksende-Wahnsinn der zahllosen Manuskripte ist die Deutsche Post.
Ich würde Jungautoren tatsächlich empfehlen, sich die aufwendige und in der
Regel vergebliche Verlagssuche zu ersparen und ihre Texte erst einmal selbst zu
veröffentlichen. Das ist inzwischen gar kein Problem mehr und bietet sogar
viele Vorteile gegenüber einer Verlagsveröffentlichung. Erst einmal behält der
Autor sämtliche Rechte an seinem Werk und bindet sich an keinen Vertrag. Das
ist ein wichtiger Punkt. Eine befreundete Autorin bereut derzeit sehr, bei
einem Verlag unterschrieben zu haben. Die Veröffentlichung wird immer wieder
aufs Neue verschoben, das Cover wird nicht fertig, sie wird immer wieder mit
Floskeln vertröstet oder erhält auf Rückfragen gar keine Antwort. Eine schlimme
Situation, um die ich sie nicht beneide. Wenn man sein Buch selbst
veröffentlicht, muss man sich mit solchen Ärgernissen nicht auseinandersetzen.
Man muss zwar in ein professionelles Cover investieren und unter Umständen auch
in ein Lektorat. Aber da man die Tantieme komplett selbst einstreicht, hat man
diese Investitionen normalerweise schnell wieder raus. Zum Vergleich: Die
befreundete Autorin hat sich vertraglich dazu verpflichtet, 80 % der Tantieme
an den Verlag abzutreten!
Als Selfpublisher kann man sein Buch schnell, unkompliziert und kostenlos als
E-Book und inzwischen sogar als Taschenbuch veröffentlichen, behält alle
Einnahmen und kann sehr viel günstigere Verkaufspreise erzielen, als dies bei
einem Verlag der Fall wäre. Mein Roman umfasst ca. 200 Seiten und kostet als
Taschenbuch 7,99 EUR und als E-Book 2,99 EUR. Wäre er über einen Verlag
erschienen, läge der Verkaufspreis beim Taschenbuch locker bei 14 oder 15 EUR
und beim E-Book bei ca. 10 EUR. Wer ist schon bereit, so viel Geld für das Buch
eines völlig unbekannten Autors auszugeben?
Oft heißt es, im Gegensatz zu einem Indie-Autor könne ein Verlag das Buch
professionell bewerben. Das sehe ich skeptisch. Kleine Verlage haben kaum
finanzielle Mittel, um großangelegte Werbeaktionen zu starten. Und selbst die
großen Häuser bewerben nur die ohnehin schon bekannten Spitzentitel nachhaltig,
während die Bücher eher unbekannter Autoren keine nennenswerte Unterstützung
erhalten und schon bald in den Tiefen der Backlist verschwinden. Eine
Veröffentlichung im Verlag bedeutet nicht, dass einem der rote Teppich
ausgerollt wird und man über Nacht berühmt wird. Da haben viele Jungautoren
viel zu hohe Erwartungen.
Ich habe mich auf die nervenaufreibende Verlagssuche gar nicht erst
eingelassen und mein Buch gleich selbst herausgegeben. Diese Entscheidung halte
ich für goldrichtig.
Wenn man einmal davon absieht wo der türkise Tee herkommt, wünschtest du
manchmal selbst, dass ein Schluck Tee, zumindestens für eine Weile, deine
Probleme beiseite wischen könnte?
Der Tee steht für alle Dinge in der Welt, die geeignet sind, den
menschlichen Verstand zu betäuben und seinen Blick auf die Wirklichkeit zu
trüben. Grundsätzlich halte ich das für etwas Schädliches. Niemand sollte die
Augen vor der Wahrheit verschließen und in einer Märchenwelt leben. Zugleich
ist die Wahrheit oft etwas Trostloses und Betrübliches, das wohl niemand dauerhaft
erträgt. Daher liegt es geradezu in der Natur des Menschen, behagliche
Scheinwelten zu erfinden, in die er beizeiten flüchten kann. Religionen sind
das beste Beispiel. Kaum etwas fürchtet der Mensch mehr als den Tod. Deshalb
prophezeien alle Religionen eine Überwindung des Todes in Form der
Wiederauferstehung wie im Christentum oder als Wiedergeburt wie im Buddhismus.
Das ewige Leben, das Himmelreich, das Paradies, das Wiedersehen verstorbener
geliebter Menschen … all das sind Illusionen, denen der Mensch sich hingibt, da
er die Wahrheit nur schwer oder gar nicht erträgt. Es ist in Ordnung, ab und zu
in Traumwelten hinabzusinken, solange man sich vor Augen hält, dass man träumt
und immer wieder rechtzeitig aufwacht. Bedenklich wird es, wenn Menschen einer
Illusion dauerhaft verfallen und sie das Märchen irgendwann für wahr halten. Richtig
gefährlich wird es, wenn einzelne Menschen dies gezielt ausnutzen, um Macht
über andere auszuüben. Dafür gibt es in der Weltgeschichte zahlreiche
Beispiele. Genau das ist das Kernthema meines Romans.
Dein Buch kann ja recht gesellschaftskritisch abgefasst werden. Ist das
gewollt? Wenn ja, rechnest du mit einem ähnlichen Schicksal für die Menschheit
oder ist es zum Teil schon eingetreten?
Ich schließe an meine Antwort der letzten Frage an: So wie der Tee aus
meinem Roman können Märchen und Illusionen in kleinen Dosen heilsam wirken.
Doch wenn der Konsum überhandnimmt, beeinträchtigt dies nachhaltig den
Verstand, macht verletzlich und angreifbar. Allen Diktaturen der Vergangenheit
und Gegenwart ist gemein, dass ein Einzelner auf Grundlage einer Lüge über
viele herrscht. Das Irrwitzige ist, dass die Lüge vollkommen offensichtlich
ist, und ihr dennoch Millionen Menschen verfallen. Dieses zeitlose Phänomen der
Massenpsychologie hat mich sehr interessiert und zu meinem Roman „Die
Heilanstalt“ inspiriert. Einer meiner Lieblingsdozenten an der Uni lehrte uns
Skepsis als Grundhaltung. Auch wenn es manchmal unangenehm und schmerzhaft ist,
müssen wir den Tatsachen ins Auge blicken, stets alle Vorgänge hinterfragen und
die Wahrheit (an)erkennen. Wir dürfen uns nicht hinters Licht führen lassen.
Menschen sind schon zu oft sehenden Auges ins Verderben gelaufen.
Wir müssen immer die Augen offenhalten und dürfen uns nichts vormachen
lassen. Und wir müssen uns gegen Lügen und schädliche Entwicklungen, wie ganz
aktuell eine Totalüberwachung des Internets, rechtzeitig zur Wehr setzen.
„Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird“
(Erich Kästner)
Zu guter letzt. Was möchtest du deinen Lesern mit auf
den Weg geben? Meinen Lesern möchte ich ganz herzlich für ihr Interesse an meinem Roman danken. Ich habe schon eine Menge tolles Feedback erhalten, worüber ich mich unheimlich freue. Ich bin sehr froh, dass es mir gelungen ist, eine Geschichte zu schreiben, an der so viele Leser Gefallen finden.
Natürlich hoffe ich, dass mein Buch nicht nur als spannende Lektüre wahrgenommen wird, sondern dass die Leser auch die Botschaft vernehmen: Seid immer wachsam, verschließt euch nicht vor der Wahrheit und wehrt euch gegen Lüge, Verblendung und Unterdrückung. Jeder darf sich hin und wieder einen Schluck des türkisfarbenen Tees gönnen. Aber man darf dem schönen Schein nicht verfallen.
Vielen Dank für dieses wunderbare Interview!
Ich wünsche dir sehr viel Spaß und Erfolg bei deinen nächsten Büchern.
Eine Leserin hast du schonmal :)
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